Ulrich Kindler zur Eröffnung der Ausstellung "Flotte Flieger" in der Galerie charlier, 2006

Der Titel der Ausstellung "Flotte Flieger" spricht ja erst einmal für sich selbst. Wir sehen an den Wänden bunte Flugobjekte, die ihre Bahn durch den Raum ziehen. Da fühlt man sich doch gleich wie Captain Kirk und stellt sich vor, mit diesen Raumschiffen in die unendlichen Weiten aufzubrechen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Zwar anders, aber ebenso phantasievoll geht es zu bei der Gruppe "Flotte", die auch den Titel inspiriert hat. Ein etwas behäbiges Mutterschiff wird von kleinen wuseligen Begleitbooten verfolgt. Sie scheinen gemeinsam zu einer besonders wichtigen Mission aufzubrechen, wie weiland Columbus mit seiner Flotte auf dem Weg nach - Indien.
Das ist ein Moment der plastischen Arbeiten von Petra Tödter: der humorvolle, bisweilen hintersinnige Bezug auf Phänomene der Alltags- und Popkultur, die uns allen gegenwärtig sind. Ein weiteres Beispiel ist die Skulptur "Das Runde muss ins Eckige", die unsere Vorfreude auf ein bevorstehendes Großereignis anstachelt. Zweitens tragen zur Vorstellung, es mit flatternden, wirbelnden und drehenden Elementen zu tun zu haben, die vielen spitz zulaufenden Flächen und das Spiel mit Dreiecken und Knicken bei. Drittens sorgt die farbige Bemalung, die Gliederung in Zonen, entschieden für einen dynamischen Effekt.

 

Diese assoziativ-erzählerische Seite steht neben einer anderen, die ich mal mit dem Arbeitstitel "architektonisch-raumgreifend" versehen möchte. Die Objekte, ob sie an der Wand hängen oder uns auf einem Podest präsentiert werden, greifen in den Raum ein, verändern ihn und schaffen neue Beziehungen, sowohl der Objekte untereinander wie auch in unserer Wahrnehmung. Das passiert auf den drei Ebenen: von Form, Farbe und Gruppierung.

 

Die Form. Die Objekte sind durch scharfe Kanten, spitze Winkel und teilweise verwegene Konstruktionen gekennzeichnet. Sie stoßen sich geradezu an ihrer Umgebung und haben damit durchaus auch ein kämpferisch-aggressives Moment. Ältere Arbeiten von Petra sind noch nicht so kompakt wie die neueren es tendenziell sind, sie hatten teilweise so etwas wie Flügel oder Vorflächen bzw. ließen an auseinander geklappte Kartons denken. Demgegenüber sind die neueren stärker auf sich selbst bezogen. Durch die Reduktion auf das Wesentliche besinnen sich die Objekte auf ihre eigene Kraft.

 

Die Farbe. Die kräftigen, leuchtenden Farben sind Petras Markenzeichen seit Anbeginn. In den neueren Arbeiten wird das Spiel der Farben auf den Objekten zunehmend subtiler. Die Farbflächen auf den Objekten und ihr Verhältnis zueinander bei mehrteiligen Objekten haben ihren eigenen Rhythmus und führen ihr eigenes Zwiegespräch, sie ergänzen sich, zitieren sich und irritieren sich gegenseitig, wie es die Arbeit "Sechsecke" besonders augenfällig werden lässt.
Ein besonders subtiler Aspekt der Farbwirkung sind die farbigen Schatten, die einige der Objekte auf die weiße Wand werfen, an der sie hängen. Dieser Eingriff in den umgebenden Raum ist so feenhaft zart, dass man ihn nur bei genauem Hinsehen wahrnimmt und steht damit in einem wundervollen Kontrast zu dem kraftvollen Gestus der fliegenden Flotte und ihrer Begleiter.

 

Die Kombination von mehreren Teilen zu einer Gruppe. Die mehrteiligen Objekte bringen durch ihre Anordnung und ihre Beziehung zueinander die Verhältnisse zum Tanzen. Es entsteht dadurch eine eigene Dynamik, die mal geometrisch-gesittet, mal expressiv-wild daherkommt. Vergleichen Sie nur mal das rasante Flugmanöver, mit dem sich die Flieger hinterher jagen, mit der stoisch-regelmäßigen Anordnung der Sechsecke.

 

Auf einen letzten Punkt und ein weiteres Spannungsverhältnis möchte ich noch hinweisen: Das ist der Kontrast zwischen der sinnlichen und der asketischen Seite dieser Kunst. Die Erzählfreude, die Farbe und die Formexperimente werden von Objekten vermittelt, die für sich selbst stehen und bestehen. Es ist kaum eine Spur der Bearbeitung an ihnen sichtbar, die Kanten und Winkel sind mathematisch exakt gezogen, die Farbe lässt nur bei sehr genauem Hinsehen so etwas wie eine Pinselstruktur erkennen. In dieser Strenge und Perfektion scheinen sie sich abzuschließen und auf sich selbst zurückzuziehen. Das ist aber gerade die Voraussetzung dafür, dass sie zur Projektionsfläche werden für unsere Phantasien, Erwartungen und Geschichten. Sie sind alle herzlich aufgefordert, sich einen eigenen Reim auf die Objekte von Petra Tödter zu machen. Vielleicht stoßen Sie ja auf eine Dimension, mit der Sie nicht gerechnet hätten.

 

Ulrich Kindler