Katrin Bettina Müller zur Eröffnung der Ausstellung in der Remise DEGEWO, 2002 (Auszug)
Die farbigen Wandobjekte von Petra Tödter sind hier zwar (fast alle) an der Wand befestigt; aber dennoch "begegnen" sie uns in Formationen, die an fliegende Geschwader und Vogelschwärme erinnern. Die Illusion der Bewegung erzeugen sie gleich dreifach: Zuerst durch die Konstellation der einzelnen Element zueinander, ihren Abstand, ihre Dichte, die Verteilung auf geraden, gebogenen oder gezackten Linien, die Anordnung in offenen oder geschlossenen Feldern.
Zweitens tragen zur Vorstellung, es mit flatternden, wirbelnden und drehenden Elementen zu tun zu haben, die vielen spitz zulaufenden Flächen und das Spiel mit Dreiecken und Knicken bei. Drittens sorgt die farbige Bemalung, die Gliederung in Zonen, entschieden für einen dynamischen Effekt.

Fast möchte man glauben, dass die dreizackigen Sterne der "Tekknoprops" zu ihrer eigenen imaginären Musik tanzen und durch den Raum wie ein funkelnder Sternenschweif streunen. Während man bei !! "Vorsicht Dreiecke!" !! im Geiste eher die besorgte Stimme eines Commanders in einem Raumschiff hört, der sich noch nicht sicher ist, ob er Freund oder Feind in diesen unbekannten Flugobjekten vor sich hat. Die beiden "Flyer" schließlich mit ihrem gelbblauen Flügelschlag erinnern mich nicht nur an zwei Vögel, sondern muten auch wie zwei in der Luft schwebende Häckchen der Bestätigung an: dies ist erledigt und das auch und deshalb geht es jetzt auf und davon. So etwas von Abenteuerlust und Aufbruch liegt in diesen Wandobjekten.

Das ist ganz schön viel Illusion und erzählerischer Überschuss für eine Kunst, die doch eigentlich dem strengen Terrain des Minimalismus und der konkreten Kunst entstammt. Petra Tödter ist eine Malerin, die zunächst einmal alle Simulationen eines gemalten Raumes von sich abgestreift hat - stattdessen attackiert sie heute angriffslustig den Raum mit farbigen Vorstößen. Dies ist aber der gleiche Raum, in dem auch wir uns bewegen: der reale Raum, kein simulierter mehr. Konkret kann sich diese Kunst deshalb nennen, weil sie sich nicht auf außerhalb liegende Gegenstände und Referenzobjekte bezieht, sondern selbst zu einer gegenständlichen Realität wird. Minimalistisch ist sie insofern, da sie sich auf keine subjektiven Spuren und Entäußerungen einlässt. Der Auftrag der Farbe lässt fast keine Pinselspuren erkennen, kein Ausdruck hat sich in ihn eingetragen. Malerei als Bekenntnis zur ihren Voraussetzungen: Die Wandobjekte entsprechen in ihrem minimalistischen Ethos einer Ästhetik des Verzichts, die keine Behauptungen aufstellen will, etwas vorzustellen, außer dem, was sie ist: Form und Fläche.

Das aber tun sie bei Petra Tödter sehr trickreich. Die Bewegung, die sie in Formen und Flächen bringt, ist Ergebnis einer längeren Geschichte der Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung, an der sie seit über zehn Jahren arbeitet. Das begann Ende der achtziger Jahre mit monochromen und unregelmäßigen Vierecken, die wie Kartons ihre Seitenteile aufklappten. Anfang der neunziger teilte sich die eine Fläche in unregelmäßige Vielecke, deren Innen und Außen verschiedene Farben erhielten. Verschachtelte Konstruktionen entstanden. Im nächsten Schritt flogen die Elemente auseinander und verteilten sich in Formationen über die Wand: aus dem einen Ding war eine ganze Familie von Objekten hervorgegangen und die Spannung beruhte jetzt vor allem auf ihrem Verhältnis zueinander. Bis dahin blieben die Oberflächen der Wandobjekte wandparallel und sie zerstreuten sich nach oben und unten, rechts und links. Erst mit den Pyramiden und Keilformen, zu denen auch die jetzige Generation der Objekte gehört, begann das spitzige Vordringen in den Raum. Weil sie aber noch den Bezug zur Wand behalten, bleiben sie Signale des Aufbruchs aus der Malerei, ohne aber Skulptur werden zu wollen.

Katrin Bettina Müller